Aus der Geschichte des Dorfes Wollbrandshausen
Von Günter Hübenthal
Zusammengestellt aus den Unterlagen des Lehrers Martin Arand
Schon in der Zeit der Urgeschichte ist unsere Heimat besiedelt gewesen. Gerätschaften, Waffen und Werkzeuge aus der Stein-, Bronze- und Eisenzeit fand man in Höhlen, Kiesgruben, bei Grabungen und in Hügelgräbern unserer näheren und weiteren Umgebung. Aber ein bestimmter Platz einer Siedlung in unserer engeren Heimat ist uns aus jener Zeit nicht bekannt. Eine Landkarte aus der Zeit der Frühgeschichte würde im Vergleich zur heutigen ganz anders ausgesehen haben. Sümpfe und Seen waren in den Niederungen weit verbreitet. Noch heute erinnern die Flurnamen daran: Retlake, Im Teiche, Laborn, Seeanger, Luttersee. Am Ellerbach und im Gebiet der Retlake befindet sich in etwa ein Meter Tiefe noch torfhaltiger Boden.
Ungefähr um das Jahr 500 n.Chr. nennt man die Menschen unserer heimat Sachsen (später Niedersachsen). Dieser Name ist abgeleitet von dem Wort Sax oder Sahs, welches ein dolchartiges Schwert, welches die Krieger trugen, bezeichnet. Das Gebiet zwischen Brockenfeld im Harz und Waake, in dem unsere Vorfahren lebten, bezeichnete man bereits vor etwa 900 Jahren als Lisgau.
Unser Heimatdorf ist vermutlich so entstanden, daß sich an einer günstigen Stelle am Ellerbach einige Höfe ansiedelten. Der Platz war gut gewählt, weil er gegenüber der sumpfigen Lage am Wasser auf einer Anhöhe lag und weil fruchtbarer Boden und gutes Weideland vorhanden waren. Aus diesen Gehöften ist vermutlich bereits um 800 das Dorf Wollbrandshausen entstanden. Es war eine Ansiedlung, die nach Wolbrath oder Wolfbrand benannt worden war. Eine genaue Jahreszahl kann aber nicht ermittelt werden. Die erste urkundliche Erwähnung unseres Dorfes datiert aus dem Jahre 1105 und betrifft einer Schenkung des Grafen Dietrich von Katlenburg an das junge Kloster Katlenburg über eine Hufe in der Gemarkung Wallbrechtshusen. Diese Schenkung wurde durch den Erzbischof Ruthard von Mainz bestätigt. Als Der Graf Diedrich von Katlenburg 1107 ohne Erben stirbt gehen seine restlichen Besitzungen in und um Wollbrandshausen an den Grafen von Northeim über und von diesem an Heinrich der Löwe. So kamen Ländereien in und um Wollbrandshausen an das Braunschweiger Herzoghaus. Aber auch die Herren von der Plesse hatten im 12.Jahrhundert Besitzungen in und um Wollbrandshausen. Im Jahre 1170 wird Wollbrandshausen als Walberneshusen bezeichnet. In einer Urkunde aus dem Jahre 1180 wird ein Berthold von Wolberneshusen genannt.
Man muß sich vorstellen, daß unsere Heimat damals nicht die politische Einteilung hatte wie heute. Es gab im Mittelalter eine Mark Duderstadt, später "Goldene Mark" genannt und das Amt Gieboldehausen. Wollbrandshausen gehörte schon um 1200 zum Amt Gieboldehausen. Mit diesem ging es, wie bereits erwähnt, in den Besitz der Herzöge von Braunschweig. Aber die Braunschweiger sind keine 100 Jahre Herren unserer Heimat gewesen. Chronischer Geldmangel zwang sie zum Verkauf unserer Heimat an den Kurfürsten und Erzbischof von Mainz. Um 1350 wurde sie dem südlich gelegenen und bisher schon in zum Kurfürstentum Mainz gehörenden Eichsfeld angegliedert. Im Gegensatz zu den höher gelegenen Gebieten erhielt unsere Landschaft die Bezeichnung Untereichsfeld. Etwa ein halbes Jahrtausend, bis zum Jahre 1802, war unsere Heimat in Besitz der Kurfürsten von Mainz gewesen. In einer Urkunde von 1439 hören wir, daß die Braunschweiger während einer Fehde mit dem Kurfürsten von Mainz in das Untereichsfeld einbrachen; sie brandschatzten Wulbernshusen, Berneshusen und Germeshusen und "nemen dat fey [Vieh] darut".
Betrachten wir einmal die kirchliche Entwicklung unseres Dorfes, so nehmen Geschichtskenner an, daß das Gebiet schon vor den Sachsenkriegen Karls des Großen zum Christentum bekehrt worden war. Vermutlich waren es Priester des Hl.Bonifatius, die hier das Evangelium gepredigt haben. Als erster Seelsorger in Wollbrandshausen wird 1261 ein Pfarrer Johannes genannt. Es ist daher anzunehmen, daß bereits vorher in Wollbrandshausen eine Pfarrei und Kirche bestanden hat. Mit der Reformation kommt Unruhe in die Gemeinde. Der 1566 amtierende Pfarrer Christoph Gobbel tritt zum Protestantismus über und mit ihm nimmt ein Großteil der Gemeinde den neuen Glauben an. Als später die Gegenreformation einsetzte, war Wollbrandshausen 1605 wieder ganz katholisch.
Als eine Folge der Reformation und Gegenreformation muß der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) gesehen werden, welcher unsagbares Elend auch über Wollbrandshausen brachte. Am schlimmsten wütete Christian Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel, wegen seines Lebenswandels und seiner Untaten besser bekannt unter "der Tolle Christian" oder wegen seiner Funktion als Administrator des säkularisierten Bistums Halberstadt "der Tolle Halberstädter", in unserm Dorf. Er war der jüngste Bruder des regierenden Herzogs von Braunschweig und ein erklärter Feind des Kaisers und der katholischen Religion und rühmte sich seiner Schandtaten, die er an Frauen und Jungfrauen begangen habe - was werden dann erst seine Söldner getan haben. Am 29.Mai 1622 zog er von Katlenburg kommend in das Eichfeld ein. Er nahm Quartier in Seeburg. Seine Regimenter waren auf die Orte des nordwestlichen Eichfeldes verteilt. Was in diesen Tagen der Einquartierung an Plünderungen und Gewalttätigkeiten gegenüber der Bevölkerung geschah, kann man nur erahnen. Als nichts mehr zu holen war zogen die Truppen weiter und verwüsteten hauptsächlich das südliche Eichsfeld. Im nächsten Jahr erschien der Tolle Christian wieder in unserer Heimat. Am 29.Juni brannte Wollbrandshausen und die Nachbardörfer. Die Einwohner wurden grausam mißhandelt, verwundet und erschlagen. Danach verschwanden diese Mordbrenner wieder aus dem Eichsfeld. Aber am 25.April 1626 kamen sie wieder und verbrannten 17 Dörfer. Am 1./2.Mai wurde Wollbrandshausen vollständig niedergebrannt. Nachdem man zunächst Meßkelch und Kirchensakramente geraubt hatte, wurde auch die Kirche dabei nicht verschont. Unsere Heimat war, wie der Kurfürst von Mainz damals schrieb, durch Ein- und Überfälle, Raub, Mord, Brand und Plünderung ruiniert, verderbt und zugrunde gerichtet. Die Bevölkerung Wollbrandshausen begann sogleich mit den Wiederaufbau ihres Dorfes. Der Tolle Christian sollte nicht wiederkommen, denn am 26.Juni 1626 starb er infolge seines ausschweifenden Lebens im Alter von 27 Jahren. Der Pfarrer von Wollbrandshausen Johann Schatz (1752-1783) berichtet ausführlich über die Bedrängnisse, welche die Kirche von Wollbrandshausen zu erdulden hatte, in seiner Chronik.
Doch der Krieg war ja lange noch nicht zu Ende. Nach kurzen Ruhepausen, traten immer wieder durch Freund und Feind Kriegsschrecken auf. Die Schweden, die Kaiserlichen, die Weimaraner, die Braunschweiger, die Hessen wechselten sich in der Besatzung unserer Heimat ab. Das Pfarrhaus von Wollbrandshausen konnte erst 1642 wieder aufgebaut werden. Erst als der Krieg zu Ende ging, war der Kurfürst und Erzbischof von Mainz wieder Herr seines Landes. Nur langsam erholte sich das Land wieder. Zu den Folgen des Krieges kamen die Pestjahre, welche zahlreiche Opfer forderten. 1661 bestand Wollbrandshausen aus 31 Häusern. Elf Jahre später waren es schon 91 Häuser. 1674 hatte das Dorf 50 Herdstellen, 34 Männer, 5 Witwen, 34 Frauen, 38 Söhne und 33 Töchter ergaben 144 Einwohner. Im Jahre 1691 wird von einem Kirchenbau geschrieben. Diese Kirche ist aber bald zu klein, sodaß 1796 die heutige Kirche neu gebaut und dem Hl.Georg geweiht wurde. Das jetzige Pfarrhaus stammt aus dem Jahre 1848. 1862 wurde im Rahmen der Renovierung der Kirche der aus Henneckenrode bei Hildesheim stammende Hochaltar errichtet. Der Nebenaltar zu Ehren des Hl.Nepomuk war bereits 1846 von der Duderstädter Oberkirche gekauft worden. Der Platzt vor der Kirche war vor Jahren noch bebaut. Er war aber ursprünglich der Versammlungsplatz der Dorfbewohner, der Thie.
Das nach dem 30-jährigen Krieg Frieden einkehrte, ist ein Irrtum. Wie wir der bereits genannten Chronik von Johann Georg Schatz entnehmen können, waren die Zeiten des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) auch für unser Dorf mit Not verbunden.
In der napoleonischen Zeit traten für Wollbrandshausen starke Veränderungen ein. Friedrich Karl Josef war der letzte geistliche Landesherr des Eichfeldes. Das Kurfürstentum Mainz wurde aufgelöst und kam 1802 zum Königreich Preußen. Ab 1807 gehörte es dann zum Königreich Westfalen. Nach der Niederlage Napoleons wurde das Eichsfeld 1813 wieder unter preußischen Zepter gestellt. 1815 wurde das Eichsfeld geteilt und der größte Teil des Untereichfeldes, der ehemalige Altkreis Duderstadt, kam zum Königreich Hannover, um dann 1866 wieder an Preußen angegliedert zu werden.
Der Erste Weltkrieg verlangte von Wollbrandshausen ein Opfer von 24 Gefallenen. Im Zweiten Weltkrieg waren 23 Gefallene und 15 Vermißte zu beklagen.
Am 8.April 1945 (Weißer Sonntag) und am 9.April war Wollbrandshausen Frontgebiet gegen die anrückenden Amerikaner. Zur Verteidigung der deutschen Stellungen waren zwei Tigerpanzer in Stellung gegangen. Der eine stand am Dorfausgang Richtung Ebergötzen beim ehemaligen Pfarrgarten und der andere stand oberhalb des Dorfes in Richtung Seeburg. Sie waren zur damaligen Zeit zwar die modernsten Panzer, aber es waren ja nur zwei und diese zogen sich dann auch ohne einen Schuß abgegeben zu haben in Richtung Gieboldehausen zurück. Die Panzergrenadiere dieser beiden Panzer waren in den Klassenzimmern der Schule einquartiert. Am 11.April wurden sie als Kriegsgefangene durch unser Dorf geführt. Am Dienstag den 10.April, an einem anfangs nebeligen und später freundlichen Frühlingstag, fuhr gegen 10 Uhr eine schier endlos erscheinende Kolonne amerikanischer Militärfahrzeuge durch unser Dorf. Nach ungefähr einer Stunde kam diese Schlange aus Stahl und Eisen dür kurze Zeit zum stehen. Ursächlich hierfür war die Sprengung einer Brücke in Gieboldehausen. Für einige Tage blieb eine amerikanische Besatzung in Wollbrandshausen zurück. Eine Anzahl von Häusern mußte binnen zwanzig Minuten von den Bewohnern geräumt werden. Für mehrere Tage gab es weder Brot noch Strom und das Wasser konnte lediglich aus einen alten Brunnen gewonnen werden. Alle Verbindungen zur Außenwelt waren unterbrochen. Wenn auch die Amerikaner gegenüber anderen Besatzern früherer Zeiten human waren, so war doch in diesen letzten Kriegstagen mancherlei Angst, Not, Leid, Entbehrungen und Willkür durch die Bevölkerung zu ertragen.
Wollbrandshausen ist immer ein Bauerndorf gewesen. Die Gemarkung hat ca.6,25 km², davon sind 0,87 km² Wald. Die Anzahl der Bauernhöfe hat sich jedoch in den letzten Jahren grundlegend verändert. Trotz Flurbereinigung und Ausbau der Wirtschaftswege brachte es die Entwicklung auf dem Europäischen Markt mit sich, daß man heute die Anzahl der Vollerwerbshöfe an einer Hand abzählen kann. Auch kleine Handwerksbetriebe wurden von der modernen Entwicklung überrollt. Derzeit sind noch zwei Kraftfahrzeug- bzw.Landmaschinenbetriebe und einige Bauunternehmen in unserer Gemeinde ansässig. Das 1911 erbaute Schulgebäude, seit der Schulreform leerstehend, wurde durch Privatinitiative zum Alten- und Pflegeheim "Haus Elisabeth" um- und ausgebaut und im November 1982 eröffnet. 1990 wurde dann das Gasthaus "Zu den drei Linden" ebenfalls eine Alten- und Pflegeheim.
In den Sechziger Jahren hatte die Bevölkerung noch einmal eine Zeit voll Angst und Schrecken zu überstehen. Insgesamt 16 Brände in dieser Zeit brachten es mit sich, daß der Volksmund unser Dorf als Brandshausen bezeichnete. Es gab keine einwandfreie Klärung der Brandursachen.
In den letzten Jahrzehnten ist eine Entwicklung in Wollbrandshausen zu beobachten, die dem Strukturwandel Rechnung trägt. Baugelände werden erschlossen, Straßen ausgebaut und neue Wohnhäuser entstanden und entstehen. Nachdem der Einsatz des Mähdreschers den alten Dreschschuppen "Am Teiche" entbehrlich machte wurde dieser abgerissen und es entstand an seiner Stelle das heutige Dorfgemeinschaftshaus - ein Sport- und Kulturzentrum. 1973 brachte die Gebietsreform einen Anschluß an die Samtgemeinde Gieboldehausen und dem Landkreis Göttingen. Nachdem die seit 1930 angedachte Umgehungsstraße 1979 ihrer Bestimmung übergeben wurde, kehrte in Wollbrandshausen ein gewisse Ruhe ein. Im Rahmen der Dorferneuerung konnte am 28.August 1984 der neugestalltete Kirchplatz - jetzt Georgsplatz - eingeweiht werden. 1990 waren die Umbauarbeiten der Neugestaltung des Platzes "Am Feuerteich" beendet. Viele alte Fachwerkhäuser prägen den Gesamteindruck des Platzes.